From "Near East" to "Western Asia:" A Brief History of Archaeology and Colonialism
At the Morgan Library & Museum, we recently removed the term “Near East” from the name of our department and replaced it with “Western Asia.” I wrote a piece for the Morgan’s blog detailing our rationale which can be found here. The central argument is that the term “Near East” perpetuates problematic colonial narratives as it reinforces a Eurocentric worldview in which certain regions and the related artistic production are evaluated against the benchmark of a putatively superior, western center. As a modern construct, this term fails to capture the region’s past and present socio-cultural and political complexities with which art was intertwined. In addition, cartography has never been a domain that is isolated from society and dominant forms of power. Therefore, the history of the naming of this region is also the history of colonial politics.
There are many other institutions currently debating the removal of such terminological remnants of nineteenth-century colonialism. I was recently invited to join a roundtable organized by the Institut für Vorderasiatische Archäologie (FU Berlin) where students, scholars and museum professionals from all around Germany discussed various aspects of the issue and voiced their support or concerns. I gave a short opening statement, the transcript of which is as follows:
Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Morgan Library & Museum in New York und vor einigen Wochen haben wir uns dazu entschlossen, die Bezeichnung unserer Abteilung von „Siegeln und Schrifttafeln des Nahen Ostens“ (Department of Ancient Near Eastern Seals and Tablets) in „Siegeln und Schrifttafeln Westasiens“ (Department of Ancient Western Asian Seals and Tablets) zu ändern. Ich möchte kurz auf die beiden Hauptargumente für diese Namensänderung eingehen:
Erstens: Worauf beziehen sich die beiden Adjektive „vorder“ oder „nahe“? Welcher geopolitische Kontext liegt ihnen zugrunde?
Die Antwort auf diese Fragen liegt in der Geschichte des Kolonialismus, die in direktem Zusammenhang mit der Geschichte der Archäologie in dieser Region steht. Im neunzehnten Jahrhundert fanden erste großflächige Ausgrabungen statt und die Mehrheit der Ausgräber waren Europäer. In diesem Zeitraum etablierten sich auch die Begriffe „Naher Osten“ oder „Vorderer Orient“ – in ihren englischen Entsprechungen „Near East“ und „Middle East“. Sie entstanden also in Abgrenzung zu und in Bezugnahme auf die europäischen Zentren. Diese waren nicht nur Zentren der politischen Macht, sondern ebenso der wissenschaftlichen Produktion, die die Terminologie für die (Ein)Ordnung der Dinge bestimmten.
Kurz gesagt, diese Begriffe sind Produkte des Kolonialismus.
Zweitens: Kartographie war und ist oftmals ein ideologischer Apparat. Diese Tatsache spiegelt bereits eine babylonische Karte aus dem sechsten Jahrhundert vor der europäischen Zeitrechnung wider, in deren Zentrum Babylon liegt. Als weiteres Beispiel lassen sich die Karte von Al-Idrisis aus dem 12. Jahrhundert anführen, in deren Zentrum Mekka zu sehen ist oder europäische Weltkarten des Mittelalters – wie etwa die Hereford-Karte um ca. 1300, die Jerusalem als ihren Mittelpunkt aufweisen. Schließlich sind auch moderne Weltkarten aus der Perspektive Großbritanniens oder Europas angefertigt.
Wenn wir die Begriffe „Naher Osten“ oder „Vorderasien“ weiterhin anwenden, so habitualisieren, verinnerlichen und verewigen wir die ideologischen Grundlagen der Expansionspolitik des neunzehnten Jahrhunderts. Auf dieser Grundlage möchte ich vorschlagen, diese beiden Begriffe in Frage zu stellen.
Welche Region beschreibt etwa der Begriff „Vorderasien“ für einen Nichteuropäer? Für eine japanische Archäologin ergäbe er beispielsweise kaum Sinn. Die Bezeichnung „Westasien“ hingegen assoziiert für alle Betrachter*innen dasselbe geografische Gebiet, unabhängig davon, wo sie sich befinden. Denn „Westasien“ bezieht sich nicht auf ein Machtzentrum oder auf eine asymetrische Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie.
Somit stellt sich abschließend die Frage, ob wir in unserer Disziplin koloniale Narrative und Einordungssysteme aufrechterhalten wollen oder ob wir im 21. Jahrhundert bereit sind, hier auf eine kritische Distanz zu setzen? Ich bin mir bewusst, dass diese Begriffe „Naher Osten“ und „Vorderer Orient“ tief in unseren Sprachen verwurzelt sind (sie sind das ebenso in der türkischen oder der arabischen Sprache) und dass sich gerade traditionelle Termini durch ihren täglichen Gebrauch im Laufe der Jahrhunderte zuweilen von ihrer Entstehungsgeschichte vermeintlich zu lösen scheinen. Doch die Festlegung von Begriffen – wie auch ihre terminologische Fortführung – sind mächtige und umfassende Handlungen und es lohnt sich irgendwo anzufangen. Ich freue mich auf Ihre Fragen und Anmerkungen per E-Mail und ich danke Ihnen.